Kunst

Schwarz, (Weiß), Rot, Gold, (Grün) - ein Konzeptart-Gemälde von Horst Neustädter


Das Gemälde „Schwarz, (Weiß), Rot, Gold, (Grün)“ von Horst Neustädter befindet sich als Dauerleihgabe im Erdgeschoss des Alten Rathauses am Marktplatz und kann dort während der Öffnungszeiten besichtigt werden. Es misst 130 x 130 cm und wurde 2018 in einer Mischtechnik (Pigmente, Acrylat, Öl, Designgold usw.) auf Leinwand gemalt.

Diverse Internetforen beschwören tagtäglich die Schönheit der Stadt Wittlich – in der Regel mittels Fotos der 50er, 60er und 70er Jahre, gerne auch älter. Die Grundaussage lautet in der Regel, früher sei alles, aber auch alles, wunderschön gewesen. 

Der in Wittlich-Lüxem lebende Künstler Horst Neustädter hingegen setzt sich künstlerisch mit der Stadt Wittlich des Jahres 2022 auseinander, mit einer Stadt, deren Bevölkerungszusammensetzung sich in den letzten Jahrzehnten stark änderte. Menschen mit 105 unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten leben derzeit hier; nicht erfasst werden alle die, deren Eltern immigrierten und die heute über die deutsche verfügen. In den Innenstadtgrundschulen beträgt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund zwischen 60 und 80%. Es handelt sich vorrangig um die Kinder und Enkelkinder der sogenannten „Gastarbeiter“ der 1960er und 70er Jahre, um Menschen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion und um Frauen, Männer und Kinder, die ihre Heimat im nahen Osten, in Syrien, im Irak oder Iran wegen grausamer Bürgerkriege verlassen mussten.

 

Vor das schöne Renaissancerathaus (1653-56) mit dem charakteristischen Barockgiebel platziert der Künstler zwei junge Frauen; eine trägt einen leuchtend grünen Hidschab, die andere einen goldblonden Zopf. Und Hidschabs oder Kopftücher gehören im 21. Jahrhundert selbstverständlich zum Straßenbild einer Stadt, die auf ihr wirtschaftliches Potential als Industriestandort stolz ist und viele Arbeitsplätze bietet. In einer eigentlichen Kommunikation befinden sich die beiden Mädchen nicht, vielleicht wandert der Blick der Blondine ein wenig zu der anderen.

Im Hintergrund sind die Farben schwarz, weiß und rot wie auf einer Flagge nebeneinander angeordnet. Schwarz – weiß – rot, das waren die Farben der Reichsfahne von 1871 bis 1919 und später von 1933 bis 1935. Sie stehen für ein konservatives, rückwärtsgewandtes xenophobes Deutschland, und die Flagge wird heute von sogenannten „Reichsbürgern“ verwendet. Nehmen wir das leuchtende Grün des Hidschabs, das die hoffnungsvolle Farbe des Propheten symbolisiert, hinzu, entsteht mit weiß – schwarz – grün – rot, den panarabischen Farben, die arabische Revolutionsfahne von 1916. Einst war das Ziel eine Einheit der arabischsprechenden Länder aus dem Kolonialismus hinaus, heute geht es vielfach um islamistische Ziele.

Bezieht die Betrachterin, der Betrachter den goldblonden Zopf mit ein, bildet sich eine Fahne schwarz – rot – gold, die Flagge der Bundesrepublik Deutschland, 1815 von der Urburschenschaft in Jena kreiert, symbolisiert sie Einigkeit und Recht und Freiheit. Einigkeit von allen Wittlicherinnen und Wittlichern, unabhängig vom eigenen Herkunftsort oder dem der Vorfahren. „Wir alle sind Wittlich“ lautete der Satz, der nach dem Anschlag auf die Redaktion der Zeitschrift „Charly Hebdo“ im Januar 2015 auf einem großen Transparent am Marktplatz stand. Dafür stehen die beiden jungen Frauen auf Horst Neustädters Bild. Beide, die Muslima und die (wahrscheinliche) Christin sind gleichberechtigte Wittlicherinnen in der schönen Stadt an der Lieser des Jahres 2022.

Horst Neustädter, der seine Bilder mit „HOHO“ signiert, arbeitete als Lehrer für Kunst, Mathematik und evangelische Religion. Seit seiner Pensionierung verfügt er über die Zeit, seine künstlerischen Gestaltungen in diversen Maltechniken zu perfektionieren.