Ohnmacht und Grauen

St. Rochus, St. Sebastian und die Pest im 17. Jahrhundert

Ausstellung vom 20.10.2013-24.2.2014

In zahlreichen Regionen Europas brach im 17. Jahrhundert die Pest aus. In Wittlich und Umgebung wütete der »Schwarze Tod« zwischen 1630 und 1636 in besonders verheerender Weise.

Erstmals ist in der Region diese furchtbare Epidemie Gegenstand einer Ausstellung. Mit Gemälden, Skulpturen und Grafiken, mit Druckerzeugnissen und Dokumenten wird ein vielfältiges Bild des »Schwarzen Todes« vermittelt.

Besondere Aufmerksamkeit gilt den beiden Stadtpatronen Wittlichs, den Heiligen Sebastian und Rochus. In den Notzeiten der Epidemie war die Hoffnung auf Beistand durch die Pestpatrone groß. Ihnen vertraute man sich an, es entstanden Bildwerke wie die Rochusskulptur am Rathaus von Wittlich oder das silberne Sebastiansreliquiar der »Fraternitas Sancti Sebastiani Wittliacensis«.

Diese Sebastiansbruderschaft, die sich gerade in der Pest der Schwerkranken annahm, existiert bis zum heutigen Tage. Der große silberne Pfeil, der während der Pest des 17. Jahrhunderts als Verheißung des Schutzes angesehen wurde, gilt als »Symbol« der Sebastiansbruderschaft.

Ein Schwerpunkt der Ausstellung sind die volkskundlichen sowie medizinisch-pharmakologische Artefakte: In den sogenannten Teufelsgeißeln, einem Konglomerat aus verschiedenen Gegenständen, sah die Volksfrömmigkeit ein wirksames Schutzmittel. Von vermeintlich heilkräftigen Pflanzen zeugt ein kleines Pestgärtchen. Sogar von Krötenkadavern glaubte man Heilung von der Krankheit. In Pestzeiten wie zwischen 1630 und 1636 jedenfalls war die Hoffnung nie weit von der Ohnmacht entfernt!  

Schnabelmasken und Teufelsgeißeln

Wie die Pest im 17. Jahrhundert die Eifel heimsuchte

Martina Jammers

In zahlreichen Regionen Europas brach im 17. Jahrhundert die Pest aus. In Wittlich und Umgebung wütete bis über die luxemburgische Grenze hinweg der „Schwarze Tod“ zwischen 1630 und 1636 in besonders verheerender Weise. Erstmals ist in der Region diese furchtbare Epidemie Gegenstand einer Ausstellung. Mit Gemälden, Skulpturen und Grafiken, aber auch mit medizinisch-pharmakologischen Artefakten sowie Dokumenten wird ein vielfältiges Bild dieser Geißel vermittelt.

An zentraler Stelle prangt bis heute am Wittlicher Rathaus – in der Nische des großen geschwungenen Giebels – einer der beiden Schutzpatrone der Stadt in der Südeifel: der heilige Rochus. Die barocke Holzskulptur schürzt sein kirschrotes Gewand, um dem Betrachter seine Pestwunde am rechten Oberschenkel zu präsentieren. Der aus Montpellier stammende Sohn aus adligem Hause entschloss sich im 13. Jahrhundert als Zwanzigjähriger, nach dem Tode der Eltern sein Vermögen den Armen zu schenken. Während seiner sodann folgenden Pilgerfahrt nach Rom heilt er Pestkranke durch Handauflegen, darunter einen Kardinal. Schließlich überfällt ihn in Piacenza selbst die Pest. Jedoch wird er im Spital nicht geduldet und zieht sich in eine Waldhütte zurück. Da erscheint ein Engel zu seiner Pflege, und der Hund eines benachbarten Edelmannes bringt ihm täglich Brot, bis er genesen heimzukehren beschließt. Dieses treue Hündchen wie auch sein Pilgerstab gehören zum Wittlicher Skulpturenensemble aus dem Barock. Auf einer ebenfalls ausgestellten Prozessions-Standarte, welche zu Bittwallfahrten mitgeführt wurde, sieht Rochus‘ Wunde schon drastischer aus und erinnert an einen aufgeschnittenen Granatapfel.

Rochus-Bruderschaften wie die von San Rocco in Venedig, wo seine Gebeine aufbewahrt werden, beförderten seine Verehrung im Volk. Bekannt ist auch jene in Bingen am Rhein, nicht zuletzt durch Goethes ausführliche Schilderung des dortigen Patronatsfestes am 16. August. Der Dichter stiftete für die Bingener Rochuskapelle sogar ein Porträt des Heiligen, das er eigens bei der Weimarer Malerin Louise Seidler (1786-1866) in Auftrag gab. Ein ebenfalls in Wittlich gezeigtes Bändchen informiert über die Ziele der Rochus-Bruderschaft Bingen. Dort heißt es: „In Ausübung der geistlichen und leiblichen Werke der Barmherzigkeit sollen sie sich fleißig üben“ und „Den Armen und Kranken sollen sie hülfreiche Hand leisten.“


Um 1630 in Windeseile von Italien bis nach Mitteleuropa


In harschen Pestzeiten war die Hoffnung auf Beistand durch die Pestpatrone groß. Die Epidemie breitete sich von Norditalien um 1630 in Windeseile bis nach Mitteleuropa aus. So starben in diesem Jahr 51 Prozent der Bevölkerung Mailands, 63 Prozent von Cremona und Verona; in Mantua waren es gar 70 Prozent. Alessandro Manzoni (1785- 1873) hat in seinem Hauptwerk „Die Verlobten“ eindrucksvoll von der verheerenden Wucht der Seuche in seiner Heimatstadt Mailand berichtet: „Die Todesfälle trafen meist sehr schnell, urplötzlich und nicht selten völlig unverhofft auf, ohne jedes vorherige Anzeichen einer Krankheit.“ Speziell die Hilflosigkeit der Pestkranken wie der Ärzte nimmt der Romancier ins Visier. Der „Schwarze Tod“ – benannt nach der raschen Verfärbung der bis zu zehn Zentimeter großen Pestbeulen – ereilte 1630 auch das Städtchen Wittlich und raffte ein Viertel der Bevölkerung dahin: 145 Personen. Ohnehin war Wittlich durch den Dreißigjährigen Krieg zermürbt. Dieses erschütternde Elend wird von den Zahlen im Großherzogtum Luxemburg jedoch weit übertroffen: Nachdem die Pest diese Gegend bereits 1604, 1612 und 1626 heimgesucht hatte, brach sie 1636 mit fataler Drastik aus. 120 000 Menschen starben damals im Großherzogtum an dieser Seuche – zwei Drittel der Zivilbevölkerung. In manchen Dörfern blieb nicht einer übrig. Die Sterblichkeit war so immens, dass man die Verstorbenen in großen Gruben beerdigen musste.

Solche Massengräber gab es zu Pestzeiten auch anderweitig. So wurde eines erst im Jahre 2006 bei archäologischen Grabungen an der Südseite der spätromanischen Basilika Maria Himmelfahrt in Andernach entdeckt. Aus diesem stammt das Skelett eines etwa 20-Jährigen. Gedämpftes Licht und in Schwarz gehaltene Wände erlauben eine würdevolle Begegnung mit dem einst in der Blüte stehenden Menschen, der stellvertretend für Millionen von Pestopfern steht. Das Skelett bildet den Auftakt der instruktiven Pest-Ausstellung, welche von den Kunsthistorikern Barbara Mikuda-Hüttel und Richard Hüttel kenntnisreich und mit zahlreichen Kostbarkeiten bestückt kuratiert worden ist. „Wir wollen die kleine Welt Wittlich mit Blick auf das Ganze erklären“, erläutert Hüttel. Der Prospekt der Ausstellung ist einem magischen Pestschutzbrief nachempfunden, wie er zu Zeiten des Schwarzen Todes vor dem Eintritt in eine Gemarkung verliehen wurde. Deutlich prangt darauf das schwarze Andreaskreuz: Damit wurden Häuser gekennzeichnet, in denen Pestkranke darbten.


Schluckbildchen“, Kreuzchen aus Wachs und „Pestkugeln“


Im Protokoll der bis heute in Wittlich aktiven Sebastians-Bruderschaft wird verbürgt, dass ab 1630 die „Pestilenzische Contagion und Seugte in der Stadt Wittlich angefangen und per sechs Jahr continuo grassirt“. Die Kuratoren können an Einzelschicksalen festmachen, was das Auslöschen bedeutete. So raffte die Pest etwa im Fall des Enkirchener Pfarrers Caspar Streccius gleich zweimal hintereinander die Ehefrau sowie sechs Kinder hinweg. Bei so viel Drastik wundert es einen dann auch nicht, dass dieser zweifelsohne tiefgläubige Mann zu magischen Praktiken Zuflucht nahm. Er erwarb bei einem heilkundigen Schmied ein „Ding, anzuhenken contra pestem“. Es handelt sich hierbei um ein kissenförmiges Amulett, in dem ein grafisches Bildchen steckte, das man entweder um den Hals legte oder an Haus oder Stalltüren aufbewahrte. Ein besonders interessanter Fund solcher „Teufelsgeißeln“ wurde im Zuge der Inventarisierung der Eifler Abtei Himmerod gemacht. Man entdeckte in einer Holzschatulle acht Exemplare: Täschchen mit aufwändiger wie kostbarer Paramentenstickerei und eingelegten Blättern, von denen man hoffte, dass der Teufel sie wie eine Geißel fürchtete. Die Amtskirche freilich war von derartigen Beschwörungs- und Austreibungsgegenständen wenig begeistert. In ihrer Verzweiflung nahmen die Menschen die frommen Grafiken wie Medizin ein und verzehrten die in Wasser aufgelösten Papiere oral als „Schluckbildchen“.


An Maria Lichtmess, wo im Volksglauben dem geweihten Wachs eine besondere Schutzfunktion gegen Anfechtungen und Krankheiten zukam, war es Gebrauch, dass der Hausvater damit gleich nach dem Hochamt aus dem Wachs Kreuzchen knetete und diese dann auf Türstürzen, Eingängen zu Schlafstuben, ja sogar am Rauchfang und Obstbäumen anbrachte. Die Problematik der Ursachenforschung beschäftigte die Gelehrten wie die Betroffenen über Jahrhunderte. Nachdem ab 1347 die Pest in Europa endemisierte, machte sich eine ungeheure Hilflosigkeit breit. Populär wurde damals die Erklärung, dass die Krankheit „von der gifftigen Lufft herkompt“. Entsprechend dieser sogenannten Miasmen-Theorie suchte man sich folglich durch massive „Lufftreinigung“ zu erwehren – etwa durch große Feuer mit Eichen oder Wachholderholz beziehungsweise durch Wohlgerüche von Salbei, Ysop oder Lavendel.

Wie ein Apfel in acht Segmente gliedert sich ein sogenannter Pommander – auch „Pestkugel“ genannt –, der mit Moschus oder Bisamapfel befüllt werden konnte. Dabei spiegelt die soziale Zugehörigkeit die gewählten Duftstoffe: Moschus und Amber wurde den Wohlhabenden medizinisch verordnet, Nelken und aus Zistrosen gewonnenes Harz den Ärmeren. Andere mutmaßten planetarische Konstellationen als Ursprung der Pest. Zurückgehend auf die Humoralpathologie der Antike stellte man sich den Planeten Jupiter als feucht und heiß vor, während man Saturn für kalt und trocken hielt. Die Konjunktion von beiden mussten nach damaligem Glauben zur Vergiftung der Luft führen. Erst 1894 gelang Alexandre Yersin vom Institute Pasteur in Paris die Einsicht, dass es sich bei der Pest um eine bakterielle Infektionskrankheit handelt.


Roter oder weißer Stock als Erkennungszeichen für Pestärzte


Legendär sind die Pestmasken der Mediziner mit ihren langen gebogenen „Schnäbeln“, die man bis heute beim venezianischen Carnevale erleben kann. Anfang des 17. Jahrhunderts kam diese Schutzkleidung zum Einsatz. Sie gehen auf Charles Delorme zurück, der als Leibarzt mehrerer französischer Könige während der Pestepidemie ein langes, vom Hals bis zu den Knöcheln reichendes Ledergewand trug. Im Vogelschnabel befanden sich wohlriechende Spezereien, die Schutz vor Miasmen bilden sollten. Und eine Brille mit Kristallgläsern sollte vor dem vermeintlich ansteckenden Blickkontakt schützen!

Obligat war zudem ein roter oder weißer Stock – als Erkennungszeichen für Pestärzte, die in Kontakt mit Angesteckten standen. Getrocknete Kröten spielten in der Pesttherapie eine große Rolle. Sie galten sowohl gedörrt wie pulverisiert in der Volksmedizin als wirksam. Entsprechend der paracelsischen Auffassung „similia similibus curantur“ kamen ersatzweise auch Hühnerbürzel zum Einsatz.


Pesthäuser und Verehrung des heiligen Sebastians


Auf Pestkarten, die zum ersten Mal im 17. Jahrhundert Verbreitung fanden, kann man erkennen, wie ganze Städte „abgeriegelt“ wurden. Ein Beispiel hierzu ist eine Karte von Filippo de Arrieta aus dem Jahr 1694, die einen ca. 150 km langen Küstenabschnitt um Bari zeigt. Der Verlauf des Cordons, durch den die Stadt von der Umgebung isoliert wurde, wird durch eine gerissene Linie und Zelte, vermutlich als Symbol für die Stationierung von Einheiten entlang des Cordons, dargestellt. Um die Kranken von den Gesunden fernzuhalten, entstehen in vielen Orten Europas Pesthäuser.

Für Genua entwirft der englische Sozialreformer und Philanthrop John Howard (1726-1790) eine solche Anlage direkt am Mittelmeer, die von zwei großen Höfen umgeben wurde: „links einem Hof für die angesteckten Waaren“ und rechts einem „Hof für die verdächtigen Waaren“. Ideal war an diesem Entwurf, dass sich eine frische Wasserquelle direkt aus dem Gebirge speiste und damit zur Heilung der Erkrankten beitrug. Ein 35,5 Zentimeter großer Silberpfeil ist das Symbol der „Fraternitas Sancti Sebastiani Wittliacensis“. Diese 1291 gegründete Sebastian-Bruderschaft erneuerte sich 1636 nach der verheerenden Pestepidemie und kümmerte sich um die Schwerkranken. Das damals geschaffene Pfeilvotiv galt als Verheißung des Schutzes vor der Seuche, überlebte doch der heilige Sebastian sein Martyrium trotz der Attacken, die man ihm zufügte. Eine Miniaturausgabe dieses Pfeils wird alljährlich am Sebastianustag, dem 20. Januar, den neuen Mitgliedern in einer feierlichen Zeremonie verliehen. Der heilige Sebastian ist aus naheliegenden Gründen der zweite Wittlicher Stadtpatron. Zu den Schätzen der dortigen Bruderschaft gehört eine mit Sockel 30 Zentimeter große, aus Silber getriebene Statuette, in die sich goldene Pfeile bohren. Hoch expressiv zeigen sich das schmerzverzerrte Antlitz des um 1500 geschaffenen Sebastian sowie sein ausgemergelter Körper. Gerade in Pest und Notzeiten vermochte eine Skulptur wie diese ihre intensive vergegenwärtigende Kraft zu entfalten. Noch heute wird die Statuette an Fronleichnam sowie am Sebastianstag präsentiert.


Die Menschen schwankten beständig zwischen Ohnmacht und tiefempfundener Hoffnung. Doch auch in diesen tragischen Zeiten des Schwarzen Todes war manchem das Glück beschieden. Während in der Eifel wie auch in Luxemburg um 1636 einige Dörfer vollständig entvölkert wurden, ging an benachbarten mitunter der Kelch des sicheren Todes vorbei. Als im Pestjahr 1638 die Stadt Vianden von der Pest heimgesucht wurde und von 3 000 Einwohnern lediglich sieben übrigblieben, floh der Burggraf Biewer mit seiner Familie nach Dasburg, heute gleich an der deutsch-luxemburgischen Grenze gelegen. Seine Frau Susanna Wiltheim stammte aus einer der namhaftesten Familien Luxemburgs. Gleich nach der Ankunft in dem Eifelweiler legten Biewer und Susanna das Gelübde ab, den Pestheiligen Sebastian und Rochus eine Kapelle zu errichten, sofern sie und die Dorfbewohner verschont blieben.

Wunderbarerweise zog tatsächlich die Pest vorbei, ohne jegliches Opfer zu nehmen. So war es eine Selbstverständlichkeit für Biewer, eine Pestkapelle zu bauen. Offenbar gab es bei der Wahl des Standortes nicht sogleich eine Übereinstimmung. Der Überlieferung nach zog ein Dasburger Bauer mit seinem Gespann Richtung

Dahnen. Als er an den Felsblock kam, auf dem heute die Pestkapelle steht, lag dort eine holzgeschnitzte Marienfigur. Der Bauer nahm sie mit und übergab sie dem Burggrafen, der sie in der Schlosskapelle aufstellte. Doch am nächsten Tag war die Statuette verschwunden – und lag wieder auf dem Felsen. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrfach. Daraus erkannten Jakob Biewer und seine luxemburgische Gemahlin, was der Wille der Gottesmutter sei und errichteten auf dem Felsen eine kleine anmutige Kapelle, die der Schmerzhaften Mutter, Sebastian und Rochus geweiht wurde. Das Dasburger Gnadenbild der Muttergottes ist seit langem Ziel zahlreicher Pilger.

Quelle: Luxemburger Wort/Die Warte, 23. Januar 2014


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